StreetArt Explorers und Citizen Science: Ein Praxismodul am Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni Hamburg 

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13. Dezember 2023
Jan Krawczyk

Zusammenfassung der Ergebnisse von Paulina Krischker & Jan Krawczyk

Im Juli 2023 haben wir mit unserem Projekt das Seminar „Bürgerwissenschaften“ unter der Leitung von Olaf Bock am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg besucht. Der Kontext für diesen Workshop war ein berufsorientierendes Pflichtmodul für Studierende der Soziologie und Politikwissenschaft im Feld der Citizen Science. Die Übung hat im Sommersemester 2023 stattgefunden und bestand aus einem einführenden theoretischen Teil, in dem Grundlagen von Citizen Science geklärt wurden und einem praktischen Teil, in dem die Studierenden aktiv in einem Citizen Science Projekt zusammenarbeiteten und dieses anhand der im ersten Teil gewonnenen Kriterien reflektierten, evaluierten und dokumentierten. Bei den folgenden Inhalten handelt es sich um eine Zusammenfassung desr Berichte und Diskussionen der Studierenden Milena Breckling, Alida Coric, Nele Kittelmann, Vincent Müller und Kommiliton:innen,zur eigenen Feldforschung im Graffiti-Feld. 

Nach einem Einführungsworkshop, in dem das Projektteam mit den Studierenden über die möglichen historisch-politischen Hintergründe von StreetArt und Graffiti diskutierte und die Teilnehmenden zu eigenen Betrachtungen von StreetArt in ihrer Umgebung anregte, teilte sich das Seminar in zwei Gruppen auf, um StreetArt und Graffiti in verschiedenen Vierteln zu betrachten und politisch einzuordnen. Die erste Gruppe hat sich im Grindelviertel rund um die Universität umgeschaut. Dabei haben sich die Studierenden mit dem Ort beschäftigt und herausgefunden, dass das Grindelviertel ein wichtiges Zentrum für Hamburger Jüd:innen darstellt. Die Gruppe ist davon ausgegangen, dass sie vorrangig linke StreetArt finden und rechte Graffiti im Grindelviertel meist versteckt oder unkenntlich gemacht werden würden. Entgegen ihrer Erwartungen fand die Gruppe auch Tags, die sie einem rechten politischen Spektrum zugeordnet hatten, wie z.B. „No vax, no mask, no test“ (dt.: Keine Impfung, Keine Maske, Kein Test), das die Gruppe als Reaktion auf die Corona-Maßnahmen 2020/21 deutete. Darunter fanden sie den Schriftzug „No Brain“ (dt.: Kein Gehirn), den sie als linkspolitische Gegenantwort auf den vorausgegangen Tag verstanden. So stellte die Gruppe fest, dass der Austausch zwischen zwei unterschiedlich positionierten StreetArtists und Sprayern, nicht nur durch das Verdecken von Graffiti sondern auch durch einen schriftlichen Dialog stattfinden kann. Die Gruppe fand weitere Tags wie „Q+“, dass sie als Kürzel der rechten Verschwörungstheorie um Q-Anon identifizierten. Die Gruppe recherchierte daraufhin zu der Bewegung und erkannte antisemitische Narrative innerhalb dieser Verschwörungstheorie. Die vorausgegangene Auseinandersetzung mit dem Grindelviertel als jüdisches Zentrum, kann dazu führen solche Tags in Zusammenhang mit der Platzierung anders einzuordnen. Auf dem Campus der Universität fand die Gruppe auch linke StreetArt, wie das Stencil „Identitäre vom Camus jagen“. Die Gruppe setzte sich daraufhin auch mit der Professionalität der gefundenen StreetArt auseinander und stellte Vermutungen über Sicherheit und Erfahrungsschatz der StreetArtist an. 

Die zweite Gruppe nahm das Hamburger Schanzenviertel in den Fokus und vermutete auch eine Mehrzahl an linkspolitischer StreetArt, da das linksautonome Zentrum  „Rote Flora“ einen  zentralen politischen Ort des Schanzenviertels darstellt. Die Studierenden entdeckten Tags, die sich auf aktuelle Ereignisse beziehen, wie die Solidaritätsbekundung mit der verurteilten linksradikalen Lina E. „Free Lina, Tag X, 31.5. 20h“, die die Gruppe als direkten Aufruf zu einer Demonstration verstand. Gleichzeitig fielen den Teilnehmenden auch Graffitis mit klarem historischen Bezug auf, wie der Spruch „AFD wählen ist so 1933!“ auf, der einen Zusammenhang zwischen der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland und der NSDAP herstellt. Ein weiteres prominentes Thema fand die Gruppe auf Stickern vertreten, die die Teilnehmenden auf Grund der Darstellung eines Schneemann mit dem Spruch „Je me sens si chaud“ (dt.: Ich schmelze, wenn es heiß ist) als Kritik an der aktuellen Klimapolitik einordneten. Auch die Platzierung der Sprüche fiel den Studierenden auf. Auf der Wand eines Fachgroßhandels für Lebensmittel entdeckte die Gruppe den Tag „Der Mensch ist Knecht des Kapitalismus“ und sah in der Platzierung eine Bezugnahme auf die Funktion des Gebäudes. Auch „Die Rote Flora“ identifizierte die Gruppe als für StreetArtist besonderes Gebäude, da die antikapitalistische, antirassistische, feministischen und queerfreundliche StreetArt dort weit aufwendiger wirkte als anderen Stellen. Die Studierenden vermuteten eine gewisse Sicherheit, die das autonome Gebäude links orientierten StreetArtists böte, die zu der zeitaufwendigen Ausgestaltung der Graffitis beitragen könnte. 

Nach der Feldstudie der zwei Gruppen beschäftigten sich die Studierenden in dem Seminar mit Fragen, die bei der Betrachtung und Einordnung von StreetArt aufgekommen sind. Dabei ging es viel um Orte und die angesprochenen Rezipient:innen der gefundenen StreetArt. Die Studierenden fragten sich weshalb so viel linkspolitische StreetArt in linken Vierteln stattfindet, wenn die meisten Rezipient:innen sich doch bereits als linkspolitisch verstehen. Die Teilnehmenden vermuteten, dass es dabei sowohl um die Sicherheit der StreetArtist, als auch um Anerkennung und hegemoniale Ansprüche geht, indem die Künstler:innen ihr Viertel als linkspolitisch markieren. Gleichzeitig verstehen die Studierenden manche Sprüche (wie z.B. Aufrufe zur Demonstrationen) als Mobilisierungsversuche, die sich konkret an linkspolitische Menschen als Rezipient:innen richten. Die Seminarteilnehmenden setzten sich auch mit konfrontativen Sprüchen auseinander, in denen StreetArtists ihre politischen Gegner:innen direkt ansprechen und eine Reaktion erwarten könnten. Daraus könnten Diskussionen entstehen oder Nicht-Reaktionen als Unterstützung der gesprayten politischen Haltung verstanden werden. Auch diese Phase der Auswertung wurde vom Projektteam der StreetArt Explorers begleitet. 

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