von Paulina Krischker
CesarOne ist ein deutscher Graffiti-Künstler, der seit 1999 mit seiner Crew den „Stoned Nomads“ sprüht. Sein Style ist besonders von der Darstellung von Character im bunten Comic-Style geprägt. CesarOne ist auf unser Projekt gestoßen und wir haben uns im Interview mit ihm getroffen, um über seine Haltung zu Graffiti, StreetArt und der historisch-politischen Dimension dieser Subkulturen zu sprechen. Seine Antworten haben wir durch ein Begriffslexikon und Recherchen zu den angesprochenen Themen ergänzt.
Paulina: Was ist StreetArt für dich?
Cédric: Ich nenne es Graffiti und StreetArt, da ich den StreetArt Begriff ungern für sich alleine stehen lasse. Ich bin durch die Schrift zu den Figuren gekommen und nicht umgekehrt. Das Verhältnis zwischen Graffiti- und StreetArtist ist teilweise zwiegespalten, aber ich sehe das eigentlich ganz entspannt. Die Ursprünge liegen jedoch beim Graffiti und die treten in letzter Zeit manchmal ein bisschen in den Hintergrund. Gerade seit der Verbreitung von StreetArt im Internet, habe ich beobachtet, dass immer mehr Graffiti Writer auch Character umsetzten und diese Entwicklung finde ich schön. Seit 2012 habe ich 25 Stromhäuschen im Großraum Frankfurt unentgeltlich gestaltet und habe selber ganze Stromkästen nur mit Characters besprüht. Das hätte ich mir früher nie vorstellen können und ich finde es gut nicht mehr nur auf Schrift festgelegt zu sein. Generell ist mir wichtig, dass StreetArtist und Graffiti Writer sich achten und es gegenseitige Wertschätzung gibt.
Graffiti und StreetArt im historischen Verhältnis
CesarOne sieht die Ursprünge von StreetArt im Graffiti. Um das Verhältnis beider Subkulturen nachvollziehen zu können, ist es wichtig die gemeinsame Entstehungsgeschichte zu betrachten.
Graffiti entstand innerhalb der US-amerikanischen Jugendbewegung der 60er Jahre und gehört zu den vier Elementen des HipHop: Rap, Breakdance, Deejaying und Graffiti. Jugendliche schrieben und sprühten ihre Namen überall in amerikanische Großstädte, um Ansehen und Beliebtheit zu erlangen. Später erweiterten manche Writer ihre Schriftzüge durch Punkte, Pfeile, Kronen und Linien und ergänzten Farbe. In den 70ern kam es zu vielen Innovationen in der Graffiti-Szene und neue Stile entwickelten sich. Auch das Gestalten von Characters wurde neben den Schriftzügen zu einem wichtigen Element der Subkultur. Um mit den Risiken der meist illegalen Aktionen besser umgehen zu können, formten sich Crews, die auch gemeinsam sprühten. In den 80er und 90er Jahren boomte das Graffiti, während die erste Generation der StreetArtist sich noch im Teenager Alter befand. (Reinicke 2012: 27-32)
Die Entstehung von StreetArt lässt sich in den 2000er Jahren verorten. Graffiti Writer versuchten sich im Kunstfeld zu etablieren und sich untereinander und mit Galeristen besser zu vernetzen. Immer mehr Writer orientierten sich in die Richtung der Kunstwelt und entwickelten öffentliche Installationen, Skulpturen und neue innovative Techniken und Stile. Oft basierten die Arbeiten auf den Wurzeln des Writings, nahmen aber ganz andere Formen an. StreetArt entstand also aus dem Graffiti, löste es dennoch nicht ab. Beide Subkulturen bestehen heute gleichzeitig und sind nach wie vor von vielen Gemeinsamkeiten geprägt. (Reinicke 2012: 39ff)
Paulina: Inwiefern kann StreetArt und Graffiti für dich politisch sein?
Cédric: StreetArt und Graffiti kann sehr politisch sein, muss es aber nicht. Meine Comicfiguren sind meist eher unpolitisch. Ich habe in meiner Karriere vielleicht zwei oder drei politische Werke gemacht. Ein Werk am Wiesbadener Schlachthof anlässlich des „Wall Street Meetings“ habe ich gegen Repressionen gestaltet. Manche anderen Werke bezogen sich auf „Legalize It“. Ich bin kein unpolitischer Mensch, aber für mich persönlich setzte ich weniger politische Sachen. Aber in Hamburg gibt es zum Beispiel einen Trainwriter namens „Rage“, der hat sehr viele politische Sachen gemacht. Zum Beispiel einen Wholecar zur Roten Armee Fraktion. Hamburger und Berliner Writer haben eher die Tendenz politisch zu sein. Auch StreetArt bringt oft politische Werke hervor. Der bekannteste StreetArtist „Banksy“ hat viele politische Werke, wie z.B. Werke an der Mauer des Gaza Streifen oder das „Dismaland“ gegen Disney umgesetzt. Viele nennen Banksy ja einen Sell-Out, der als Graffiti Artist angefangen hat und jetzt Millionen damit verdient. Doch ich denke er öffnet vielen die Tür. Generell habe ich große Bewunderung für politische Graffiti und StreetArt, denn sie schaffen eine neue Daseinsberechtigung. Für mich muss Kunst nicht politisch sein, aber die vorhandenen Verbindungen zwischen Politik und Kunst finde ich gut.
Banksy ein Sell-Out?
Banksy ist einer der bekanntesten Street Artist der Welt. Er ist 1974 in England geboren und begann mit 14 Jahren Graffiti zu sprühen. Schnell entdeckte er die Verwendung von Schablonen für sich und wurde durch seine subversiven, humorvollen und politischen Motive weltberühmt. 2005 zum Beispiel sprühte er neun Werke auf Sperranlangen vor dem Gazastreifen, die die eingeschränkte Freiheit der Palästinenser kommentierten. Mittlerweile werden seine Werke häufig für mehrere hunderttausend Dollar versteigert und Banksy ist als Street Artist vollständig in der Kunstwelt etabliert. (Reinicke 2012: 65ff)
Die Sell-Out Diskussion innerhalb der Subkultur bezeichnet einen Konflikt um die Monetisierung von Graffiti und StreetArt. Viele Street Artist arbeiten mit Firmen und Galeristen zusammen, um sich und ihre Kunst zu finanzieren. Solange die Künstler:innen lange in der Szene aktiv sind und die Straße weiterhin an erster Stelle steht, stellt die Monetisierung der eigenen Kunst in der Subkultur meist kein Problem dar. Als Sell-Out hingegen werden Künstler:innen bezeichnet, die ihre Namen und Motive verkaufen und dabei die Straße vernachlässigen. (Reinicke 2012: 173ff)
Der Diskurs um Banksy als Sell-Out ist zwiegespalten. 2019 verklagte Banksy ein italienisches Museum, um sein Copyright gegen unautorisierten Merchandise Verkauf zu schützen. Viele empfanden diesen Schritt als „Selling-Out“, da Banksy mit seinen Aktionen immer wieder gegen Gesetze verstoßen hatte und die plötzliche Zusammenarbeit mit staatlichen Autoritäten in diesem Zusammenhang als heuchlerisch wahrgenommen wurde (Artnet 2019). Andere Stimmen aus der Szene empfinden es als positive Entwicklung, dass Graffiti und StreetArt Künstler:innen wie Banksy sich heutzutage mit ihrer Leidenschaft finanzieren können (Reinicke 2012: 175).
Paulina: Wie wichtig ist dir die Geschichte von Graffiti und StreetArt?
Cédric: Bei dieser Frage muss ich direkt an den Satz „Know your roots. Know your history“denken, denn es bedeutet mir viel die Geschichte meiner Hobbys zu ergründen und an andere weiterzugeben. Ein Beispiel für die Geschichte von Graffiti wäre die Fotografin Martha Cooper, die gemeinsam mit Henry Chalfant die gesamten Graffitis in der New Yorker Metro fotografiert und so für die Nachwelt festgehalten hat. Ein weiteres Beispiel ist einer der ersten Graffiti Writer der Welt „Cornbread“ aus Philadelphia, der mal einen Elefanten im Zoo voll getaggt hat, um Aufmerksamkeit zu generieren. Oder „Taki 183“ einer der ersten Graffiti Artist aus New York. Diese Leute sollte man kennen, wenn man sich mit Graffiti und StreetArt beschäftigt. Denn der Ursprung von Graffiti liegt im Tag und alles andere ist erst danach dazugekommen.
Das „Tag“ als politisierter Zugang zur Öffentlichkeit
Es finden sich viele Beispiele von politischen Graffiti Writings oder StreetArt Werken. Doch auch das einfache „Tag“ aus dem sich die Graffiti und StreetArt Szene sich entwickelt hat, kann einen politisierten Zugang zur Öffentlichkeit enthalten. Das „Tag“ besteht meist aus einem gut schreibbaren Spitznamen, der die Identität des Writers in der Szene repräsentieren kann (Reinicke 2012: 29). Damit steht es für die Künstler:in und ihre Verortung im urbanen Raum. Somit kann das „Tag“ je nach Urheber:in für die Repräsentation marginalisierter Stimmen stehen, deren Existenz in der Gesellschaft ohne die schriftliche Verbreitung des Namen nicht gleichberechtigt gehört werden würde. Gleichzeitig können „Tags“ Machtstrukturen angreifen, indem sie urbane Ordnungen durch Entfremdung stören und normativen Vorstellungen von städtischer Sauberkeit nicht entsprechen. Außerdem eröffnen sie sowohl historisch als auch politisch urbane Räume als politisierte und künstlerische Flächen, die von der Zivilgesellschaft gestaltet werden können. Jegliches Graffiti hat durch seine Entstehungsgeschichte eine politische Dimension. Da das Tag in seinen Anfängen meist von migrantischen und afroamerikanischen Jugendlichen umgesetzt wurde, beinhaltet Graffiti die Geschichte einer spezifischen Jugendkultur von Empowerment, die in der Gestaltung und Betrachtung von Graffiti und StreetArt unbedingt mitgedacht werden sollte.
Paulina: Kann StreetArt und Graffiti Sachbeschädigung sein?
Cédric: Ich finde es gut, dass es noch Menschen gibt, die illegal malen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er legal, illegal oder beides macht. Ich habe für mich entschieden dem deutschen Staat nicht mein Geld zur Verfügung zu stellen und dauernd für Anwaltskosten aufzukommen. Mittlerweile ist das illegale Malen für mich nicht mehr mit meinem bürgerlichen Leben vereinbar. Das mag sich spießig anhören, aber mit Familie und Vollzeitjob lässt sich das so nicht mehr umsetzten. In Westeuropa wird das ja generell sehr rigide gehandhabt. Oder in Ländern wie Singapur, wo Leipziger Trainwriter noch mit Stockschlägen bestraft wurden, als man sie beim Sprühen erwischt hat. In anderen Ländern wird das teilweise sehr viel lockerer genommen. Bei meinem Besuch in Albanien zum Beispiel ist die Polizei einfach an mir vorbeigefahren, die haben ganz andere Probleme dort.
Graffiti und StreetArt – Was sagt das Gesetz?
Im deutschen Strafgesetzbuch beziehen die Paragrafen 303 und 304 sich auf Sachbeschädigung und regeln auch Fälle von illegalem Sprühen. In §304 heißt es:
§ 304 Gemeinschädliche Sachbeschädigung
(1) Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.
(3) Der Versuch ist strafbar
(Strafgesetzbuch (StGB) 2023)
Die genaue Auslegung und Anwendung dieser Paragrafen ist jedoch vom Einzelfall abhänigig.
Paulina: Verbindest du gewisse Orte mit Graffiti und StreetArt?
Cédric: Graffiti kann überall stattfinden, der Untergrund ist egal. Die Entscheidung, wo man es umsetzt, liegt beim Künstler. Wholecars und Panels bringen eine andere Aufmerksamkeit als eine legale Wand, die schnell wieder übermalt wird. Gewisse Sachen sollten jedoch beachtet werden. Viele haben die Meinung „jeder kann über jeden gehen“, das finde ich gar nicht. Ich mache meist nur freie Aufträge, da Werke auf einer Hall of Fame so schnell übermalt werden und dann oft die ganze Mühe und das Geld umsonst investiert sind. Old Schooler hatten da teilweise konkrete Regeln wie „Chrome geht nicht über Bunt“ oder „Wer mehr Fame hat kann über Anfänger gehen“. Das müsste meiner Meinung nach wieder mehr etabliert werden.
Paulina: Was sind deine Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und Graffiti?
Cédric: Ich mache Workshops für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersklassen und finde es toll mein Wissen weitergeben zu können. Außerdem haben junge Menschen so eine Unbedarftheit und Unvoreingenommenheit, dass sie eine frische Herangehensweise an die Materie mitbringen. Diese Art der Zusammenarbeit ist immer eine schöne Erfahrung.
Paulina: Was möchtest du zu unserem Projekt noch sagen?
Cédric: Ich finde euer Projekt total wichtig und gut, dass die Universität Hamburg dieses Projekt möglich macht. Es sollten noch viel mehr Menschen daran teilnehmen. Graffiti und StreetArt sind vergängliche Kunst und wenn ihr es dokumentiert, haltet ihr es für die Nachwelt fest.
Wir danken Caesar One herzlich für das Interview und die interessanten Einblicke, die wir durch das Gespräch in die Graffiti und Sprayer Szene bekommen konnten. Seine Erzählungen haben uns zu tieferen Recherchen angeregt und wir konnten uns mit wichtigen Begriffen und Themen vertrauter machen. Wenn ihr mehr von Cesar One sehen wollt, schaut doch auf der Website der Stoned Nomads Crew vorbei: www.snc-crew.de Danke, dass du uns die Bilder auch überlassen hast und wir sie hier zeigen dürfen!
Artnet (2019): Is Banksy Selling Out?, URL: https://news.artnet.com/art-world/banksy-court-1475173, zuletzt aufgerufen am 05.06.2023.
BILD (2013): Polizei jagt „Deutsche Sprayer-Fraktion“ URL: https://www.bild.de/regional/hamburg/graffiti/schmier-mafia-verschandelt-die-ganze-stadt-33607248.bild.html, zuletzt aufgerufen am 12.06.2023.
Cooper, Martha & Chalfant, Henry (2009): Subway Art. Hamburg: Edel Edition.
Rage (2021): RACHE. The Art of Rage. Hamburg: Diverse.
Reinecke, Julia (2012): Street-Art. Die Stadt als Spielplatz, Bielefeld: transcript Verlag.
Strafgesetzbuch (StGB) (2023): Gesetze im Internet, URL: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/, zuletzt aufgerufen am 05.06.2023.
Zeit Online (2019): Sie nannten ihn Maisbrot, URL: https://www.zeit.de/kultur/kunst/2019-02/street-art-cornbread-graffiti-begruender-kuenstler-philadelphia?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F, zuletzt aufgerufen am 05.06.2023.