Der Checkpoint Charlie – Denkmal oder Touri-Hotspot? 

Tags
03. Oktober 2023
Jan Krawczyk

Ein Blogbeitrag aus dem Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin"  

Mit dem Tag der Deutschen Einheit, der 2023 in Hamburg gefeiert wurde, stellt sich die Frage nach Sichtbarkeiten von DDR-Geschichte(n) im öffentlichen Raum in Hamburg. Das Mauerstück am Platz der Deutschen Einheit steht dabei sinnbildlich für die Verflechtung unserer Projekte „Orte der (Un-)Sichtbarkeit“ und „StreetArt Explorers“. Der Platz der Deutschen Einheit ist einer der wenigen Orte in Hamburg, an dem sich deutsch-deutsche Geschichte in den öffentlichen Raum eingeschrieben hat. Es handelt sich um ein Thema, das in einer westdeutschen Großstadt jenseits des Musealen nur wenig sichtbar wird. So hat sich auch durch Workshops und exploratives Forschen des Teams bis dato noch kein Bild gezeichnet, dass DDR-Geschichte in StreetArt in Hamburg überhaupt verhandelt wird. Lediglich StreetArt auf dem Mauerstück lässt mögliche Verknüpfungen und sich überschneidende Verhandlungsräume erahnen. Mit dem Exkursions-Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin" steht die Frage im Zentrum was wo und wie im o.g. Kontext erinnert wird. Wir haben deshalb mit zehn Hamburger Studierenden vom 27.07.2023-30.07 eine viertägige Exkursion nach Berlin unternommen und uns dabei sowohl Gedenkstätten zu DDR und SED-Unrecht als auch StreetArt-Hotspots angeschaut. Die Erkenntnisse haben die Studierenden mit zurück nach Hamburg genommen und in Blogbeiträgen zum Tag der Deutschen Einheit aufgearbeitet. Die Exkursion wurde ermöglicht und finanziert durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.

von Marc Giesecke

Zur Geschichte 

Der Grenzübergang war knapp 30 Jahre für viele Berlinerinnen und Berliner ein Symbol für die Teilung zwischen Ost und West. Der Grenzübergang verband den Ost-Berliner Bezirk Mitte mit dem West-Berliner Bezirk Kreuzberg. Er war demnach eine Verbindung zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Sektor für die Bevölkerung und die Militärs. Letztere mussten sich jedoch nicht wie die Bürgerinnen und Bürger einer Kontrolle unterziehen, sondern durften sich frei zwischen den Sektoren bewegen. Und genau wegen dieser Regelung stand Berlin im Oktober 1961 16 Stunden lang vor einer Katastrophe. Nachdem ein sowjetischer Soldat einen amerikanischen Soldaten unrechtmäßig am Grenzübergang kontrollieren wollte, eskalierte die Situation, sodass sich schließlich auf der Friedrichstraße sowjetische und amerikanische kampfbereite Panzer gegenüberstanden und einen Weltkrieg hätten auslösen können. Durch diplomatische Verhandlungen konnte eine weitere Eskalation vermieden werden. Vorangegangen war 1958 das Berlin-Ultimatum, indem das sowjetische Staatsoberhaupt Nikita Chruschtschow die Westmächte dazu aufforderte, West- Berlin zu verlassen, sodass die ganze Stadt zur DDR gehört hätte. Für den Westen war dies inakzeptabel. 

Neben solchen Auseinandersetzungen kam es am Checkpoint Charlie zu Tragödien. Als Beispiel für den Checkpoint Charlie ist Peter Fechter zu nennen. Er versuchte mit seinem Freund die Mauer zu überwinden. Als Fechter sich 1962 auf dem Weg in die Freiheit befindet, wird er von DDR-Grenzern niedergeschossen und bleibt im Grenzstreifen liegen – bis er schließlich verblutet. Niemand kam ihm zur Hilfe. Heute gilt er als einer der bekanntesten Mauertoten. 

Die Erinnerungskultur am Checkpoint 

Heute steht am Ort vom Checkpoint Charlie ein rekonstruiertes, weißes Kontrollhäuschen. Hier sammeln sich viele Touristen, die vor dem vermeintlich geschichtsträchtigen Häuschen ein Erinnerungsfoto schießen wollen. Dabei vergessen die Menschen oft, dass links und rechts der Attraktion eine befahrene Straße liegt. Davor steht ein hoher Aufsteller mit einem großen Portrait eines 

unbekannten sowjetische Soldaten, welcher nach dem Mauerfall am Checkpoint Charlie befestigt wurde. Bis heute ist seine Identität ungeklärt. Auf der Hinterseite ist der britische Soldat Jeffrey Harper abgebildet. 

Auf der anderen Straßenseite befindet sich das Mauermuseum, das einen tiefen Einblick in die Geschichte des Ortes bietet. Auch außerhalb des Museums findet man Informationstafeln, welche über die Geschichte informieren und spannende Fotos zeigen. So auch das Bild eines Unbekannten, welches durch einen Spalt im Mauerwerk einen Einblick in den Todesstreifen gibt. 

Schaut man sich auf der Kreuzung der Friedrichstraße weiter um, so findet sich auf einem Gebäude viel Streetart. „Flucht kennt keine Grenzen“, „Wer mauert, hat ́s nötig“, „Wenn Du nichts veränderst, verändert sich nichts?!“, „Die Herrschenden müssen beherrscht werden!“. Gut sichtbar sind diese politischen Botschaften an die Fassade gesprayt worden. 

Peter Fechter wurde beim Versuch, in unmittelbarer Nähe zum Checkpoint Charlie über die Mauer zu klettern, von DDR-Grenzern erschossen. Er blieb im Grenzstreifen über eine Stunde liegen und verblutete schließlich, weil ihm niemand half. Heute steht 200m abseits des Trubels um den Checkpoint Charlie eine Gedenksäule für den damals 18-Jährigen. Wird ihm und den vielen Mauertoten dies gerecht? 

Ein solcher Ort wie der Checkpoint Charlie repräsentiert das Gedenken an die Opfer der DDR-Diktatur und das Leid, was Millionen von Menschen ertragen mussten. Die Aufnahmen aus dem Souvenirshop zeigen, dass der Umgang mit diesem Leid nicht überall in der Umgebung angebracht ist: Tassen mit der Aufschrift „Held der Arbeit“, Postkarten „Meine Heimat DDR“, T-Shirts, angebliche Originalstücke der Mauer und rekonstruierte Mauerelemente. Die Entwicklung vom Gedenkort zum Touristenhotspot wird hier deutlich. Mit teilweise makabren Souvenirs lockt man Touristen an. Eine grundsätzlich ironische Sichtweise auf das Regime, was am Tod von vielen Menschen verantwortlich war. 

Ein Negativhighlight der Souvenirs ist ein Stand mit „Fanartikeln“ der DDR- Grenzer. Hier werden rekonstruierte Teile der Uniformen von denjenigen verkauft, welche 200 Meter weiter Peter Fechter erschossen haben. Vergleicht man die romantisierten Souvenirs mit der teilweise sehr düsteren Geschichte des Ortes und der DDR, kommt man schnell ins Grübeln. Warum sollte hier eine Replik einer Schirmmütze eines DDR-Grenzsoldaten verkauft werden, wenn Menschen mit einer solchen Uniform die Diktatur geschützt und Menschenleben an der Mauer beendeten. 

Das weiße Häuschen und der Aufsteller mit den Fotos der Soldaten, welcher zu Mauerzeiten nie existiert hat, haben sich zu einem absoluten Foto-Hotspot entwickelt. Sucht man auf Instagram nach „Checkpoint Charlie“ so finden sich hunderttausende Posts an diesem Ort und am liebsten vor den Häuschen. Hier steht kaum noch der eigentliche Grund des Bestehens des Ortes im Vordergrund. Viel mehr wird er als Attraktion vermarktet. Das Mauermuseum mit seinen öffentlichen Informationstafeln und die Streetart sind wohl die einzigen Anhaltspunkte dafür, dass an diesem Ort denen gedacht wird, die unter dem Regime gelitten haben. Das Museum zeigt einen umfassenden Überblick und informiert die Besucherinnen und Besucher über die Geschichte dieses bedeutenden Ortes. Das Bestehen der Streetart könnte man so interpretieren, dass die Sprayerinnen und Sprayer dem Ort bzw. seiner Geschichte weitere Aufmerksamkeit schenken möchten und die aktuelle Situation als nicht ausreichend gewertet wird. Im Rahmen der Exkursion sind die Studierenden ebenfalls zum Schluss gekommen, dass der Checkpoint Charlie nur noch wenig mit dem Wort "Gedenken" zu tun hat. Stattdessen dient das rekonstruierte Wachhäuschen als Motiv für Social Media statt für das Gedenken an die Opfer des DDR-Regimes. 

Tags
Alle Blogbeitraege anzeigen
Skip to content