Ein Blogbeitrag aus dem Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin"
Mit dem Tag der Deutschen Einheit, der 2023 in Hamburg gefeiert wurde, stellt sich die Frage nach Sichtbarkeiten von DDR-Geschichte(n) im öffentlichen Raum in Hamburg. Das Mauerstück am Platz der Deutschen Einheit steht dabei sinnbildlich für die Verflechtung unserer Projekte „Orte der (Un-)Sichtbarkeit“ und „StreetArt Explorers“. Der Platz der Deutschen Einheit ist einer der wenigen Orte in Hamburg, an dem sich deutsch-deutsche Geschichte in den öffentlichen Raum eingeschrieben hat. Es handelt sich um ein Thema, das in einer westdeutschen Großstadt jenseits des Musealen nur wenig sichtbar wird. So hat sich auch durch Workshops und exploratives Forschen des Teams bis dato noch kein Bild gezeichnet, dass DDR-Geschichte in StreetArt in Hamburg überhaupt verhandelt wird. Lediglich StreetArt auf dem Mauerstück lässt mögliche Verknüpfungen und sich überschneidende Verhandlungsräume erahnen. Mit dem Exkursions-Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin" steht die Frage im Zentrum was wo und wie im o.g. Kontext erinnert wird. Wir haben deshalb mit zehn Hamburger Studierenden vom 27.07.2023-30.07 eine viertägige Exkursion nach Berlin unternommen und uns dabei sowohl Gedenkstätten zu DDR und SED-Unrecht als auch StreetArt-Hotspots angeschaut. Die Erkenntnisse haben die Studierenden mit zurück nach Hamburg genommen und in Blogbeiträgen zum Tag der Deutschen Einheit aufgearbeitet. Die Exkursion wurde ermöglicht und finanziert durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.
von Vivian Müller
Das Notaufnahmelager Marienfelde im Westen Berlins war eines von drei Lagern in der BRD, in dem Geflüchtete aus der DDR untergebracht wurden. Nach dem das Notaufnahmegesetzt am 4. Februar 1952 in Kraft getreten war, sollte in den Lagern das Notaufnahmeverfahren für Deutsche aus der DDR und für Menschen aus Ost-Berlin effektiver abgewickelt werden.[1] Bereits seit 1948 zogen viele Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone nach West-Berlin. Diese Situation verschärfte sich ab Mai 1952 noch einmal dramatisch. Als das größte Problem stellten sich die fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten für die ankommenden Flüchtlinge heraus. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle städtischen Einrichtungen zur Aufnahme von Geflüchteten überfüllt und so beschloss der Senat ein neues Notaufnahmelager in Marienfelde zu bauen.[2]
1. Die Geschichte des früheren Notaufnahmelagers Marienfelde
Gründe für den Standort Marienfelde gab es verschiedene. Zum einen gehörte das Gelände an der Marienfelder Allee dem Bund, zum anderen war es mit seiner Nähe zum Flughafen Tempelhof und der Anbindung an die S-Bahn für die Flüchtlinge gut zu erreichen.[3] Am 30. Juli 1952 wurde der Grundstein für das neue Notaufnahmelager in Marienfelde gelegt, der erste Teilabschnitt mit zehn Wohnblöcken für rund 2000 Flüchtlinge wurde am 14. April 1953 eingeweiht.[4] Im August desselben Jahres wurde die Notaufnahmestelle in Berlin-Charlottenburg geschlossen und von dem neu gebauten Lager in Marienfelde abgelöst.
Durch den Aufstand vom 17. Juni 1953, auch als Arbeiteraufstand bezeichnet, flohen besonders viele Menschen nach West-Berlin und fanden in Marienfelde vorübergehend ihr neues Zuhause. Doch mit dem Bau der innerstädtischen Grenzsicherungsanlagen im August 1953 gingen die Flüchtlingszahlen auf fast Null zurück. Trotzdem wurde das Notaufnahmelager Marienfelde bis 1961 kontinuierlich ausgebaut und Teile des Lagers für Wohnzwecke freigegeben.[5] Schließlich wurde nur noch der östliche Teil des Lagers für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der DDR oder anderen Staaten Osteuropas genutzt.
Nach dem Mauerfall am 9. November 1989 kam es zu einem so großen Ansturm von Flüchtlingen auf das Notaufnahmelager, dass Fabrikgebäude in der Nähe zur Unterbringung der Menschen angemietet werden mussten. Erst ein Jahr später kehrte langsam wieder Ruhe im Lager ein und 1993 verließen die letzten Flüchtlinge das Notaufnahmelager Marienfelde. Anschließend wurde aus dem Gebäude die zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler*innen, bis es 2010 schließlich aufgrund der geringen Zuwanderung geschlossen wurde. Noch am Ende desselben Jahres wurde das Aufnahmelager durch private Träger und Vereine im Auftrag des Landesamtes für Gesundheit und Soziales wieder als Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber*innen genutzt.[6]
2. Die jetzige Gedenkstätte Marienfelde
Durch die Eigeninitiative ehemaliger Mitarbeiter*innen des Notaufnahmelagers Marienfelde kam es zu einer ersten kleinen Ausstellung im August 1993 in einem der früheren Wohnblöcke. Im selben Jahr wurde mit der Hilfe von anderen Interessierten und einigen Historiker*innen der Verein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde gegründet.[7] Der Verein übernahm die Trägerschaft der Ausstellung und setzte sich zum Ziel die Geschichte der deutsch-deutschen Fluchtbewegung zu dokumentieren.
Eine neue und umfangreichere Ausstellungskonzeption wurde 2003 erarbeitet und schließlich mit der Eröffnung der Ausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ 2005 abgeschlossen. Vier Jahre später wurde die Gedenkstätte in die Stiftung Berliner Mauer aufgenommen, wodurch sich der ursprüngliche Trägerverein auflöste.[8] Stattdessen wurde jedoch ein Förderverein „Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V.“ gegründet.
Neben der Dauerausstellung, welche über 900 Exponate und rund 450 Quadratmetern verfügt, finden regelmäßig Sonderausstellungen statt.[9] Das Museum hat dabei den Anspruch ein umfangreiches und differenziertes Bild der deutsch-deutschen Fluchtbewegung nachzuzeichnen und dabei Verbindungen, sowie Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West herauszustellen. Zudem verfügt die Erinnerungsstätte seit 1996 über ein eigenes Zeitzeug*innenarchiv mit Ton- und Videoaufnahmen von ehemaligen DDR-Flüchtlingen und Übersiedler*innen. Das Museum befindet sich noch in dem Original erhaltenen Gebäude des früheren Notaufnahmelagers für Flüchtlinge und Übersiedler*innen der DDR.
Seit 2010 liegt in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte ein Übergangswohnheim für Geflüchtete, ebenfalls in denselben Gebäuden des ehemaligen Notaufnahmelagers. Heute leben auf dem Gelände Flüchtlinge aus mehr als zehn Ländern, die aufgrund von Gewalt, Verfolgung, Krieg und Armut ihre Heimat verlassen mussten.[10]
3. Projekt Paste Up "Here and Now!"
Gemeinsam mit Jugendlichen, die momentan im Übergangswohnheim Marienfelde leben, hat das Künstlerpaar Maria Vill und David Mannstein unterschiedliche Paste-Ups für eine Sonderausstellung gestaltet.[11] Bei Paste-Ups handelt es sich um großflächige Bilder, die mit Kleister an Gebäudefassaden geklebt werden. Die erarbeiteten Motive der Paste-Ups sollen von den Erfahrungen, Wünschen und Hoffnungen der jungen geflüchteten Menschen erzählen. Mit der Sonderausstellung sollen die Besucher*innen die Flüchtlinge neu, anders und besser verstehen lernen.[12] Die Titel der Paste-Ups sind kurz, prägnant und lassen dennoch Raum für Interpretationen: Rosen, Trümmer, Mein Einfamilienhaus, Tanzen-fliegen und Taube. Die Open-Air Ausstellung kann noch bis zum 22. Oktober 2023 besichtigt werden.
4. Kritik
Bei unserem Besuch der Erinnerungsstätte Marienfelde gibt es verschiedene Punkte, welche uns im Nachhinein noch länger beschäftigten und die ich hier nun kurz wiedergeben möchte. Mir ist klar, dass in einem denkmalgeschützten Gebäude eine Ausstellungskonzeption weitaus schwieriger ist als in einem Neubau. Dennoch sollte hier erwähnt werden, dass die kleinen Räume, auch wenn sie optimal ausgenutzt wurden, auf die Besucher*innen unter Umständen ein bisschen bedrückend wirken können. Des Weiteren gibt es verschiedene Aspekte, die in der Dauerausstellung nur kurz oder gar nicht behandelt werden und das obwohl das Museum sich selbst auferlegt hat ein umfangreiches Bild der Fluchtgeschichte zu zeichnen. Es findet sich nur sehr wenig zu Menschen, welche vom Westen in die DDR „geflüchtet“ sind (und das sind sie auch noch nach dem Mauerbau). Zudem könnte die Thematik der Freikäufe von DDR-Häftlingen breiter aufgefächert werden, schließlich bedurfte es hierfür diplomatische Verflechtungen, die von offiziellen Seiten immer wieder abgestritten wurden. Meiner Meinung nach sind einige Gruppen eindeutig unterrepräsentiert, hierzu zählen: Spätaussiedler*innen, Vertriebene, Gastarbeiter*innen, Vertragsarbeiter*innen (in der DDR) und Asylsuchende. Auch die Popkultur kommt meiner Auffassung nach deutlich zu kurz, im Kunstraum des oberen Stockwerkes findet man die immer gleichen bekannten Namen. Ganz nüchtern formuliert handelt es sich um „Namedropping“, ohne dass die Sinnhaftigkeit im Bezug zu der gezeigten Dauerausstellung klar gemacht wird.
Weitaus bedrückender als die Dauerausstellung war jedoch unsere Führung durch die Paste-Up Ausstellung „Here and Now!“. Bereits aus den oberen Fenstern des Museums, hatten wir auf die spielenden Kinder im Hof geschaut und dabei großes Unbehagen empfunden. Wie Tiere im Zoo, trennen einem die Scheiben von den Flüchtlingen des Übergangslagers direkt nebenan. Leider blieb dieses Gefühl über die gesamte Führung, wenn auch ohne Scheiben, bestehen. Wir liefen in dem Zuhause von geflüchteten Menschen umher, die ungestört ihrem Alltag nachgehen wollten. Schauten uns Kunst an Fassaden an, welche ihre besten Jahre schon lange hinter sich gelassen hatten und meiner Auffassung nach bis zur Restaurierung überhaupt nicht bewohnt sein dürften. Die beiden jungen Mädchen, die selbst in dem Übergangsheim leben, erklärten ausführlich den kreativen Prozess der Paste-Ups und erzählten uns von ihren persönlichen Geschichten. Deshalb sei hier noch einmal ein großer Dank an die beiden ausgesprochen: für ihre Bereitschafft uns all das, was sie geschaffen haben zu zeigen und auf alle unsere Nachfragen einzugehen. Leider sind bei den Nachfragen unsererseits noch weitere Punkte zutage gekommen, die uns irritierten. Warum bekamen die Kinder nicht mehr Zeit, um sich ein Konzept zu überlegen und sich selbst zu fotografieren? Warum durften sie nicht selbst entscheiden welches Paste-Up an welche Wand kommen soll? Warum gibt es in der Ausstellung auch Werke die komplett ohne das zutun der Jugendlichen entstanden sind? Warum ist im Paste-Up „Mein Einfamilienhaus“ ausgerechnet die Katze des Künstlerduos zu sehen? Warum durften die Jugendlichen nicht beim Anbringen der Paste-Ups helfen oder wurden zumindest mit eingebunden?
Ich könnte noch viele weitere Fragen stellen, auf die wir vor Ort leider keine Antworten bekommen haben. Doch zum Schluss möchte ich noch einmal die Konzeption der Ausstellung Paste-Up „Here and Now!“ kritisieren. Paste-Ups gehören in die Kunst Kategorie Street Art, der ursprüngliche Gedanke von Street Art war es, wie der Name schon sagt, Kunst auf der Straße zu machen. Das heißt Street Art kann jede und jeder kreieren und sollte zugänglich für alle Menschen sein. Verfügt man über dieses Wissen irritiert die Wahl der Fassaden in dem Übergangsheim umso mehr. Die Paste-Ups sind nicht immer und für alle sichtbar, da sie im Innenhof angebracht wurden und nicht an den Außenfassaden. Weder die Besucher*innen können sich in Ruhe die Kunst angucken, noch die geflüchteten Menschen ungestört ihrem Alltag nachgehen. Was die Frage aufwirft, ob diese Ausstellung überhaupt jemanden nützt?
Literatur
Effner, Bettina; Heidemeyer, Helge (Hrsg.): Flucht im geteilten Deutschland, Berlin-Brandenburg 2005.
Effner, Bettina: Der Westen als Alternative. DDR-Zuwanderer in der Bundesrepublik und in West-Berlin 1972 bi 1989/90, Berlin 2020.
[1] https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/notaufnahmelager-marienfelde/historischer-ort/die-erinnerungsstaette (Zugriff am 04.07.2023).
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/notaufnahmelager-marienfelde/historischer-ort/die-erinnerungsstaette (Zugriff am 04.07.2023).
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Ebd.
[11] https://www.berlin.de/tickets/ausstellungen/here-and-now-536f1f28-9867-40ad-9c25-58473f577571/ (Zugriff am 14.07.2023).
[12] https://magazin.ib-berlin.de/artikel/here-and-now-die-ausstellung-der-besonderen-art (Zugriff am 14.07.2023).