Ein Blogbeitrag aus dem Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin"
Mit dem Tag der Deutschen Einheit, der 2023 in Hamburg gefeiert wurde, stellt sich die Frage nach Sichtbarkeiten von DDR-Geschichte(n) im öffentlichen Raum in Hamburg. Das Mauerstück am Platz der Deutschen Einheit steht dabei sinnbildlich für die Verflechtung unserer Projekte „Orte der (Un-)Sichtbarkeit“ und „StreetArt Explorers“. Der Platz der Deutschen Einheit ist einer der wenigen Orte in Hamburg, an dem sich deutsch-deutsche Geschichte in den öffentlichen Raum eingeschrieben hat. Es handelt sich um ein Thema, das in einer westdeutschen Großstadt jenseits des Musealen nur wenig sichtbar wird. So hat sich auch durch Workshops und exploratives Forschen des Teams bis dato noch kein Bild gezeichnet, dass DDR-Geschichte in StreetArt in Hamburg überhaupt verhandelt wird. Lediglich StreetArt auf dem Mauerstück lässt mögliche Verknüpfungen und sich überschneidende Verhandlungsräume erahnen. Mit dem Exkursions-Seminar "StreetArt und DDR-Erinnerungskultur in Hamburg und Berlin" steht die Frage im Zentrum was wo und wie im o.g. Kontext erinnert wird. Wir haben deshalb mit zehn Hamburger Studierenden vom 27.07.2023-30.07 eine viertägige Exkursion nach Berlin unternommen und uns dabei sowohl Gedenkstätten zu DDR und SED-Unrecht als auch StreetArt-Hotspots angeschaut. Die Erkenntnisse haben die Studierenden mit zurück nach Hamburg genommen und in Blogbeiträgen zum Tag der Deutschen Einheit aufgearbeitet. Die Exkursion wurde ermöglicht und finanziert durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.
von Rachel Small
Seit 2016 schmückt ein überdimensionale Fassadenbild „Fleisch“ ein Wohnhaus in der Bernauer Str. 11 in Berlin-Mitte am Mauerdenkmal. Das Mural zeigt ein Stück rohes Fleisch, von dem mit einem Messer eine Scheibe abgeschnitten wird. Auf der Messerklinge ist die Gravur „Berlin 1961-1989” zu lesen. In der Struktur des Fleisches werden die Umrisse von Berlin und der einzelnen Stadtteile dargestellt.[1] Diese Informationen konnten, ohne vorherige Recherche, dem Mural nicht entnommen werden. Als weiterer Kritikpunkt kann an dieser Stelle geäußert werden, dass neben dem Haus weder ein Auskunftsschild zu dem Kunstwerk oder der Künstler*in, noch zu der Geschichte des Ortes zu finden ist. Diesbezüglich wäre beispielweise ein kleines Schild oder ein Aufkleber mit einem QR-Code hilfreich. Grundsätzlich soll das Steak das unvergessliche Ereignis in der jüngeren Geschichte der Stadt verdeutlichen: Den Mauerbau im Jahr 1961 und die Trennung der Stadt in Ost und West bis 1989.[2]
Die Macher*innen des überdimensionalen Fassadenbildes der Berliner Graffiti-Crew „Xi-Design” aka „Die Dixons” haben sich auf sogenannte „Street Art Communication” und überdimensionale Murals in ganz Berlin spezialisiert. Das sogenannte „Fleisch” Mural entstand im Rahmen einer nichtkommerziellen Kreativ-Plattform „Talenthouse” als Projekt eines Wettbewerbs namens „If Walls Could Talk”. Der Grafikdesigner Marcus Haas setzte sich gegen 400 weltweite Künstler*innen durch und gewann den Wettbewerb. Sein Motiv thematisiert die Berliner Mauer, welche in Zusammenarbeit mit „SizeTwo” und „Mario Monkey” von der Berliner Graffiti-Crew als besonderes Denkmal umgesetzt wurde.[3]
„Wenn diese Hauswand sprechen könnte, würde sie mit Sicherheit vom einschneidendsten Ereignis der Stadt erzählen: Dem Mauerbau ab 1961 und der Trennung Berlins bis 1989. Das Mural trägt diesen Schnitt durch die Stadt und den damit verbundenen Verletzungen an Leib und Seele der Berliner Rechnung. In der Maserung des Fleisches kann man die Stadtgrenze und die Stadtteile Berlins erkennen. Da das Gebäude durch die Baulücke und die damit freiliegende Hauswand ebenfalls wie durchschnitten aussieht, bilden Architektur und Artwork eine Einheit“, hatte der Künstler in einem Statement über seine Arbeit erklärt.[4] Die Intention des Murals und des Künstlers ist allerdings ohne das vorherige Backgroundwissen schwer zu deuten. Auch konnten die Berliner Stadtbezirke nur durch vorherige Recherche zugeordnet werden. Auf der anderen Seite kann bei diesem Mural StreetArt mit der DDR-Erinnerungskultur in Verbindung gebracht werden. Im Großen und Ganzen habe ich das Mural als sehr präsent und demonstrativ empfunden, welches durch besagte Informationsschilder, noch besser verstanden werden könnte. Dennoch ist die Häuserwand insgesamt ein echter Hingucker, dass durch die bleibende Botschaft ein Statement an diesem historischen Ort hinterlässt.
North Side Gallery (NSG)
Die North Side Gallery, oder „Hall of Fame” genannt, ist eine Open Air Gallery auf 800 m² Fläche, welche von der „Graffiti-Lobby Berlin” kuratiert wird. Auf einem ehemaligen Stück der Berliner Mauer können sich Sprayer*innen, nur unter Voranmeldung, mit ihrer Streetart auf 500 Meter legal verewigen. Sie ist im Park am Nordbahnhof mit alten Überresten der Grenz- und Gleisanlagen gelegen. Das Gelände des heutigen Parks war bis zum Mauerfall Teil des Todesstreifens.[5] Einige Überreste der Gleisanlagen und Grenzanlage sollen laut meiner Recherche bis heute erhalten sein, welche ich vor Ort jedoch nicht entdecken konnte. Dazu konnten weder allgemeine Hinweise zu SteetArt, noch ein Informationsschild zur Geschichte des Ortes entdeckt werden. Die Informationen mussten von mir im Vorfeld recherchiert und in Relation gebracht werden. Da dieser historische Ort mit der DDR-Geschichte im Zusammenhäng steht, wären demzufolge Informationstafeln, QR-Codes oder auch Plaketten, äußerst hilfreich. Dadurch demonstriert oder erinnert zugegen nichts von der DDR-Erinnerungskultur.
Auf der anderen Seite steht die North Side Gallery insgesamt für künstlerische Vielfalt und gegenseitige Wertschätzung. Vor Ort bestätigt sich diese Aussage, dass andere Kunstwerke nicht übermalt worden sind. Sie ist außerdem Ausdruck von Diversität als Bereicherung für alle Menschen, was anhand unterschiedlicher StreetArt zu sehen ist. Die Dauer des Projektes konzentriert sich vorrangig auf die kuratierte Gestaltung der zur Verfügung gestellten Wandflächen.[6] Die „Graffiti-Lobby Berlin“ kämpfte 10 Jahre um die Freigabe der Wände am Nordbahnhof, dessen Freigabe am 04.April 2023 dieses Jahres erfolgte. Alle Künstler*innen haben sich ebenfalls an Pflichten zur Nutzung gebunden, davon zeugt ein überdimensionaler Regelplan am Eingang des Parks, der authentisch als Graffiti angesprüht wurde. Der Platz ist unter anderem frei von Müll zu halten und es dürfen nur freigegebene und gekennzeichnete Flächen zum Bemalen genutzt werden. Des Weiteren dürfen keine Beschädigungen an Parkschildern oder Pflanzen vorgenommen werden. Bei Nichtbefolgung verliert das Projekt seinen Standort.[7]
Ein Graffiti-Beauftragter für Berlin koordiniert den Standort, dennoch sind viele Bänke und andere Flächen ringherum übersäht mit unterschiedlicher Streetart, vorranging Graffitis.[8] Obwohl der Ort bunt und voll StreetArt ist, wirkte der Ort sehr abgelegen, grau und trist. Schlussendlich konnte die North Side Gallery, anders als in meiner persönlichen Erwartung und Recherche, auf meinen ersten Eindruck nicht mit der DDR-Erinnerungskultur in Verbindung gebracht werden.
[1] governance-blog, Well Done Steak Art, https://governance-blog.com/2020/05/well-done-steak-art-die-dixons/.
[2] urbanshit, Wenn Wände sprechen könnten, https://urbanshit.de/wenn-waende-sprechen-koennten-fleisch-mural-von-marcus-haas-in-berlin/.
[3] o.A., Reklame an Fassaden, https://www.malerblatt.de/gestaltung/inspiration/reklame-an-fassaden/.
[4] Judith Bitheim, „Fleisch”, https://judith.bitheim.de/2018/01/30/mural-fleisch/#more-4715 und Notes of Berlin, Street Art in einer neuen Dimension – Fleisch Mural in Berlin-Mitte, https://www.notesofberlin.com/street-art/.
[5] Urusal Narr, Eine inspirierende Mauer, https://ursulanarr.de/2022/03/19/eine-inspirierende-mauer-von-equal-jam/.
[6] Jurij Paderin, OpenAir Gallery „North Side Gallery” Berlin, https://www.urbanpresents.net/2021/10/openair-gallery-north-side-gallery-berlin/.
[7] Jurij Paderin, North Side Gallery die Hall of Fame am Nordbahnhof, https://www.graffiti-lobby-berlin.de/north-side-gallery.html
[8] Lotze, Birgit, North Side Gallery: Die größte Hall of Fame Berlins, https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article238240513/North-Side-Gallery-Die-groesste-Hall-of-F ame-Berlins.html