"нет войны": StreetArt im Zeichen des Krieges in der Ukraine

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11. März 2022
Jan Krawczyk

von Theresa Hertrich und Jan Krawczyk

Eigentlich wollte Paulina euch diese Woche einen Blogeintrag vorstellen, in dem es um Kuchen essen, Jean Jaques Rousseau und Gentrifizierung in Hamburg geht. Angesichts der aktuellen Lage und des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine verschieben wir diesen vorläufig. In dieser Situation fühlt sich jedes Wort falsch an, wir sind sprachlos und fühlen uns ohnmächtig. Aber es geht hier nicht um uns, daher: volle Solidarität den Menschen in der Ukraine, den flüchtenden Menschen dort und überall auf der Welt! 

Die Beschäftigung mit StreetArt bedeutet immer auch die Auseinandersetzung mit tagesaktuellen Themen, und darunter fällt der Krieg in der Ukraine. StreetArt als spezifisch mediale Ausdrucksform reagiert gerade weltweit sehr schnell und öffentlich auf die Ereignisse, kommentiert diese und ordnet sie ein. Wir haben uns daher umgeschaut, inwieweit StreetArt das aktuelle politische Weltgeschehen auf den Straßen widerspiegelt. Dafür haben wir uns in Hamburg und auf Social Media umgesehen. In diesem Zuge waren  wir auch vor dem Generalkonsulat der Russischen Föderation sowie dem Generalkonsulat der Ukraine und in deren unmittelbarer Umgebung unterwegs. Bei unserer Entdeckungstour sind uns dabei zwei sich wiederholende Darstellungen besonders aufgefallen, die wir im Folgenden thesenartig umreißen möchten. 

1. Friedens- und Antikriegsdarstellungen

Es tauchen wieder vermehrt Friedensdarstellungen auf und damit verknüpfte Symbolsprache wird neu verhandelt. So finden sich Friedenstauben und damit verbundene Narrative, die an einen zeitgeschichtlichen Bezugsrahmen durch verschiedene Stilelemente und Darstellungsformen angepasst werden. Das Symbol der Friedenstaube war auch vor dem 24.02.2022 an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten präsent, so auch in StreetArt. An dieser Stelle sei beispielsweise an die Darstellung einer kugelsicheren Friedenstaube von Banksy in Palästina oder die bereits in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund des Nato-Doppelbeschlusses auftauchenden Sticker von Friedenstauben erinnert. Die Darstellung der Friedenstaube hat somit eine ambivalente und teilweise auch ideologische Symbolgeschichte. 

Aktuell wird die Friedenstaube mit der Darstellung der ukrainischen Flagge in einen direkten Kontext gesetzt (https://www.instagram.com/p/CanYQDYsoxs/?utm_medium=copy_link). Über diesen direkten Bezug zur ukrainischen Staatsflagge hinaus, werden Stilelemente in den Farben blau und gelb zu politischen Statements aufgeladen, so auch bei einem Mural des Künstlers Woskerski, das ein Mädchen mit einer blau-gelben Mütze zeigt (https://www.instagram.com/p/CahGcN6Acfw/?utm_medium=copy_link).

Neben der Forderung nach Frieden erfahren auch bekannte Slogans und damit verbundene Symbole, die an Antikriegsdemonstrationen erinnern, ein Revival: „Kein Krieg“ wird wieder zu einem omnipräsenten Narrativ, das auch sprachübergreifend in verschiedenen Ausprägungen wie „Stop War!“ oder dem kyrillischen „нет войны!“ sichtbar wird. Für den Bezugsrahmen ist auch hier der zeitgeschichtliche Kontext der Entstehung und der geografische Ort entscheidend. Mit dem 24.02.2022 und dem seit diesem Tag vielfach gesprühten, geklebten oder aufgemalten russischen „Nein zum Krieg - нет войны“ wird eine Zuordnung auch ohne Russisch zu sprechen bzw. lesen zu können möglich. Unsere StreetArtfunde bewegen sich zwischen der klaren Positionierung gegen den Krieg und der vehementen Forderung nach Frieden - „мир“. Dies spiegelt sich auch in Aussagen wie „Putin - the mothers and fathers are crying on both sides“ wider. 

Während die Farben Blau und Gelb und die Verwendung russischer Schriftsprache bereits einen aktuellen Bezugsrahmen herstellen, werden darüber hinaus durch spezifische Adressierungen — z.B. in Form von Personen oder Daten — Verbindungen zum Krieg in der Ukraine hergestellt. 

2. Personendarstellungen

Bei den abgebildeten Personen überwiegt die Darstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Hier werden verschiedene historische oder auch popkulturelle Referenzen herangezogen, die Putin als Aggressor charakterisieren. Das Urteil fällt dabei momentan sehr eindeutig aus und es scheint klar, wem die „Verkörperung des Bösen“ zugesprochen wird. Die damit einhergehenden verschiedenen Attribuierungen Putins greifen dabei unterschiedliche Topoi auf, vor deren Hintergrund die Künstler:innen auch nach Gründen für sein Handeln zu suchen scheinen. 

Putin wird entweder in Verbindung mit (un-)spezifischen Symbolen und Attributen Hitlers oder Stalins abgebildet oder aber direkt mit ihnen in einer Reihe dargestellt (https://www.instagram.com/p/Ca5YFCjuuNp/?utm_medium=copy_link). Zudem begegnen uns auch Wortneuschöpfungen wie „Putler“ - die Verbindung von Hitler und Putin -, welche die Attribuierungen auch über die Bildebene hinaus unterstreichen.

Die Bandbreite der Darstellungen reicht hier auch über vermeintlich historische Referenzen und damit einhergehende Personenvergleiche hinaus. Putin begegnet uns auch als Fledermaus, Wildschwein, Teufel, trotziges Kleinkind in Windeln und in Verbindung mit Phallussymbolen.

Frei nach dem Motto „every hero needs a villain“ oder im Falle unserer Entdeckungen eher vice versa, hält auch die epische Darstellung der Dichotomie von Gut und Böse Einzug in die StreetArt im Kontext des Krieges in der Ukraine. So finden sich auch Darstellungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in direkter Gegenüberstellung zu Putin. Besonders interessant ist hier beispielsweise die Darstellung des Künstlers Kawuart, der das „Harry-Potter-Universum“ als Referenzrahmen heranzieht und zentrale Elemente daraus an den aktuellen Bezugsrahmen anpasst. Ein Beispiel: Während Putin als Lord Voldemort (https://www.instagram.com/p/Cah42rfsKt5/?utm_medium=copy_link) dargestellt wird, erscheint Selenskyj als Harry Potter (https://www.instagram.com/p/Ca2Sl2ZMnkO/?utm_medium=copy_link), der statt mit einer Blitznarbe auf der Stirn mit einem Z gezeichnet ist. Dies ist auch insofern interessant, als dass nicht nur das Z, das aktuell auf russischen Panzern in der Ukraine auftaucht direkt aufgegriffen wird, sondern ebenfalls Bezüge zum viralen TikTok-Trend hergestellt werden können, bei dem ukrainische Traktoren russische Panzer abschleppen (https://www.tiktok.com/@marcoxart/video/7069509787507068165). Auch dies wird bereits explizit von StreetArt aufgegriffen (https://www.instagram.com/p/Carr-yOsOMY/?utm_medium=copy_link). Anschließend an diese Beispiele wäre hierbei eine Untersuchung spannend, inwieweit oder ob es spezifische, wiederkehrende oder gar universelle Referenzrahmen des Bösen gibt und inwiefern sich diese im kommunikativen Gedächtnis weltweit ausbuchstabieren.

Unseren ersten Beobachtungen nach richten sich die in StreetArt aufgegriffenen Darstellungen und der Protest überwiegend gegen Putin als Aggressor und nicht etwa gegen Russland oder „die russische Bevölkerung“ — im Gegenteil (https://www.instagram.com/p/Ca1rlZfNTGR/?utm_medium=copy_link). StreetArt hat hier einen appellierenden Charakter und ruft zu Solidarität auf. 

Am Beispiel der StreetArt, die im Zeichen des Krieges in der Ukraine gerade entsteht, lässt sich bereits erahnen, wie politische Botschaften wirkungsmächtig verknappt und unter Einbezug verschiedener Referenzen öffentlich dargestellt werden. Zur Annäherung an die entsprechenden Bezüge und der damit verbundenen Entschlüsselung von Sprachcodes - mit Sprachcodes sind hier alle Ebenen der Darstellung von StreetArt gemeint - braucht es unserem Verständnis nach historisch-politische Literacy, die je nach unterschiedlichem Vorwissen und Zugängen ausdifferenziert werden muss. Sie besteht grundlegend erst einmal darin, überhaupt historisch-politische Fragestellungen in Bezug auf StreetArt zu formulieren. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse treibt uns daher besonders die Frage um, inwieweit StreetArt politisieren kann oder bereits politisierte Menschen noch weiter politisiert oder in welcher Form StreetArt Raum des Austauschs für wen und von wem ist.

Dabei ist es entscheidend, StreetArt als Medium historisch-politischer Kommunikation im öffentlichen Raum wahrzunehmen: Wird StreetArt dann zu einem Teil von (unmittelbar) gelebter Demonstrationskultur? Wo hören liegen gelassene Pappschilder auf und wo fängt StreetArt an? Wann sind Kreidezeichnungen einfach nur Kreidezeichnungen und wann können sie als historisch-politische StreetArt gelesen werden? Es macht also durchaus einen Unterschied, ob eine Kreidezeichnung vor dem Generalkonsulat der Russischen Föderation auftaucht oder an einem anderen Ort. Vielmehr kann es in diesem Bedeutungsrahmen gar keine unpolitische Botschaft geben, da der Raum als solcher bereits hochgradig aufgeladen ist. Die Frage, die sich dann daran anschließt, ist also: ab wann wird eine Kreidezeichnung zu StreetArt und welche Bedeutung kommt hierbei dem spezifischen Ort zu? 

Das waren unsere ersten Eindrücke der aktuell abgebildeten StreetArt im Kontext des Krieges in der Ukraine. 

Uns interessiert aber vor allem, welche Dinge euch in eurer Umgebung aufgefallen sind? Was hat sich auf Wänden, Plätzen, Gebäuden in deiner Umgebung verändert? Welche StreetArt bringt ihr mit der aktuellen Situation in Verbindung? Wir freuen uns, wenn ihr eure Eindrücke in unserer Gallery teilt und dazu beitragt, StreetArt in seiner Vielfältigkeit auch hier abbilden zu können. 

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